Kurzgeschichten

Dr. Wolfgang Hubach

Ich fahre mit Angela nach Ammerland. Es wird Herbst, früh schon dunkel. Windstille. Schatten. Die Hügel verschwimmen, erste Nebel tasten über das Land. Angela fährt zügig, biegt zu früh von der Hauptstraße ab, kommt nach Leoni, muss, um einen Umweg zu vermeiden, die…

Dr. Wolfgang Hubach

„Hallo?“ „Ja.“ „Sind Sie am Telefon?“ „Ja.“ „Herr Jablonka?“ „Ja.“ „Herr Johann Jablonka?“ „Ja.“ „Herr Jablonka, ich rufe Sie an im Auftrag der Anlageberatung Aba Altherrsheim GmbH & CO. KG.“ „Ja.“ „Ein absolut seriöses Unternehmen, wie der Firmenname schon sagt.“ „Ja.“ „Absolut sicher,…

Dr. Wolfgang Hubach

Ungarische Rhapsodie Er war überrascht, wie sehr sich die weiße Zehe von der tiefen Bräune abhob, als er sie behutsam betastete. Sanft begann er zu reiben, dann fester, kräftiger. Seine Hand streichelte über die sich willig öffnenden braunen Poren. Ein kaum wahrnehmbarer Hauch…

Dr. Wolfgang Hubach

Aufstellen! Aufstellen! Los! Los! Aufstellen! Emil, du bist Dritter. Dritter, Emil! Dritter. Kerlchen, wann lernst du zählen? Los! Los! Einmarsch! Musik! Links, zwo, drei vier! Links, zwo, drei vier! Haaalt! Tinchen, du musst ein bisschen langsamer spielen! Dies ist ein Marsch, kein Galopp….

Dr. Wolfgang Hubach

Mein Onkel Adolf – Gott hab ihn selig – hat nie ein Gesetz übertreten, nicht unter dem Kaiser, denn da war er noch ein Kind, nicht unter den Präsidenten, denn da war er noch ein Jüngling, auch nicht unter dem Führer, denn da…

Dr. Wolfgang Hubach

Meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir sprachen in der letzten Woche über die Freudsche Phasenlehre und es herrschte Skepsis im Raum. Ich kann Ihnen aber gerade in diesem Augenblick ein Beispiel für die Richtigkeit der Annahmen und besonders für das Phänomen der…

Dr. Wolfgang Hubach

Wenn unser Herrgott einen Narren haben will, lässt er einem alten Mann die Frau sterben, sagt der Volksmund. Beim Stiegelmayer hat das haargenau gestimmt. Er und seine Kathrine hatten damals nur geheiratet auf Druck der Eltern, weil die Äcker nahe beisammen gelegen hatten….

Dr. Wolfgang Hubach

Männer, die verheiratet oder zumindest seit längerem verbandelt sind, entwickeln gegenüber Allem, was Frauen reden, eine gewisse Intervalltaubheit, die höchstens einmal unterbrochen wird, wenn die Betreffenden etwas sagen. Bei Tim und Tessa war das nicht anders. Sie redete viel, ohne Wesentliches zu sagen…

Dr. Wolfgang Hubach

Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das gestehe, aber Sie waren in diesen Tagen sehr offen zu mir, ohne die Distanz zu überschreiten. Zwar kann ich mein Misstrauen nicht völlig abschütteln – entschuldigen Sie – aber das soll mir jetzt egal sein. Sie…

Dr. Wolfgang Hubach

Sie öffnete die Tür zur Telefonzelle und sah oben auf dem Wählerkasten die Brieftasche liegen. Sollte sie nachschauen, wem sie gehörte? Vielleicht kam der Eigentümer gleich zurück, dann würde er sie für neugierig halten. Vielleicht aber hatte er den Verlust noch gar nicht…

Dr. Wolfgang Hubach

München im Januar. Theatinerstraße, Kunsthalle, Anders Zorn, 1860–1920. Menschen drängen sich. Vornehmlich Frauen. Mit langsamen Schritten gehen sie von Bild zu Bild. Keines wird ausgelassen. Nur wenige sind wirklich interessiert. Vor Badeszenen verhalten sie etwas länger, wünschen sich, tun zu können, was sie…

Dr. Wolfgang Hubach

Die Frau war zum Wochenende aus Memmingen herüber gekommen, weil sie hoffte, die schwäbische Gottesmutter sei ihrer Schuld gnädiger als die bayerische Madonna. In einer kleinen Pension oberhalb des Münsters hatte sie ein ruhiges Zimmer für eine unruhige Nacht gefunden. Am Morgen lag…

Dr. Wolfgang Hubach

Kurz nach neun kamen sie ins Café in Rottach, die brünette Dicke, die blonde Mollige und das dunkle Hascherl, das aussah, als wäre es erst konfirmiert worden. „Follein! Frühstücken!“ „Ja, bitt schön?“ „Also, ich will ein richtiges Frühstück mit Kaffee und allem“, verlangte…

Dr. Wolfgang Hubach

Wenn du in Tegernsee auf dem Lieberhof sitzt, hinten auf der Terrasse, und zum See runter schaust, so auf Wiessee zu, und das Boot siehst, was die Leute zum Bräustüberl rüberfährt, da fällt dir immer die Geschichte ein von dem Preußenmadl, was heuer…

Dr. Wolfgang Hubach

Es war schon ein seltsames Brautpaar. Das Mädchen, braungebrannt, im auf die Haut geschneiderten, tief ausgeschnittenen Weißen, auf dem Kopf eine Art Yul-Kranz aus rosa Moosröschen und Schleierkraut, in der Hand das dazu passende Biedermeiersträußchen, um die Hungertaille einen breiten Gürtel mit bunten…

Dr. Wolfgang Hubach

Der Anderl war unheimlich stolz, als er die Risa im Biergarten vorführen konnte, mittags, wo der Steffi da war und der Schorsch und die anderen, vom Bau und so. Die glotzten bloß, weil sie ihm nicht geglaubt hatten, früher, wenn er davon geredet…

Dr. Wolfgang Hubach

Der Hansi macht a Musi, weil er das Geld braucht. Viel verdienen tut er nicht, aber er hat als ganz junger Bursch zwei Madeln ein Kind gemacht, damals, wie man´s noch nicht so gewusst hat bei uns. Und jetzt muss er zahlen, weil…

Dr. Wolfgang Hubach

Sie zieht ihren Mantel aus, hängt ihn ordentlich an den Haken, setzt sich in Fahrtrichtung und beginnt sofort zu dösen, die Plastiktüten vor den Leib gerafft, damit niemand sie stehle. Der Zug ruckt an, rüttelt über die schlecht gepflegten Gleise der Nebenstrecke, hält…

Dr. Wolfgang Hubach

Eigentlich heißt sie Ignazia, nach ihrem Vater, dem Ignaz, und da der Naz gerufen wird, ruft man sie Nazi, und keiner denkt sich was dabei. Für wen auch? Die drei, vier im Dorf, die noch leben und dabei waren, die haben den Namen…

Dr. Wolfgang Hubach

Wir sind ein Singlehaus, pflegt Julia zu sagen. Sie hat recht, denn von gelegentlichen Affären abgesehen, haust jeder für sich allein. Nicht dass wir uns abkapseln, im Gegenteil, wir kennen uns alle, wir duzen uns alle, wir gehen oft zusammen aus, aber da…

Dr. Wolfgang Hubach

Früher gab es Maskenbälle überall im Land. Am beliebtesten im Städtchen war der Ball im Bahnhofcafé, denn dort bestand der Wirt darauf, dass alle Besucher voll maskiert sein mussten. Es war eben zu schön, um Mitternacht die Demaskierung zu fordern, weil sich dann…

Dr. Wolfgang Hubach

Können sie sich noch an den alten Lidl-Laden hinter dem Rathaus erinnern? Was ich hier erzähle, ist dort passiert, und es ist wahr, vielleicht hat der eine oder die andere von Ihnen das miterlebt. Also, ich war dabei, als es gewesen ist. Und…

Dr. Wolfgang Hubach

Es war gräßlich, damals. Wir haben bei der Großmutter gewohnt, das Haus sollten wir bekommen, wenn sie stirbt, und wir haben ihre Äcker mit bepflanzt. Als es dann so weit war, ging das ganze Feld an die anderen, denn wir hatten ja das…

Dr. Wolfgang Hubach

Ich will mich nicht beklagen, denn ich hätte wissen müssen, worauf ich mich einlasse. Aber ich wusste nicht, dass alles so schwer für uns werden würde. Ich liebe meinen Mann, er war vom ersten Augenblick an in mich vernarrt, jedoch, wir leben jetzt…

Dr. Wolfgang Hubach

Als Antonia 5 Jahre alt war, saß an Ostern ein niedliches kleines Zwergkaninchen im Nest. Antonia war glücklich. Sie schleppte das Tierchen überall herum und ließ niemand an es heran. „Ihre erste Liebe!“, sagte die Mama. „Dummes Zeug!“, sagte die die Großmutter, die…

Dr. Wolfgang Hubach

Sie trugen beide noch Zahnspangen. Trotzdem fühlten sie schon das Kibbeln im Bauch, wenn sie sich sahen. Und wenn es eine Gelegenheit gab, kamen sie sich auch schon näher. Eine solche Möglichkeit bot sich manchmal in der großen Pause. Sie versteckten sich hinter…

Dr. Wolfgang Hubach

Es war Ende der vierziger Jahre, die D–Mark gab es bereits, aber kaum jemand hatte sie schon so richtig in der Tasche, da mussten, wie alle Jahre am 6. Dezember, die heranwachsenden Burschen sich als Nikolaus verkleiden, um, bestellt von den Eltern, die…

Dr. Wolfgang Hubach

Es muss im Mai 1946 gewesen sein, als meine Schwester ein Gänseküken geschenkt bekam. Wulle, das Vieh. „Spätbrut!“, urteilte Oma Otti. „Halbverreckt, das wird nix!“ Es wurde doch! Dank Körbe voller Brennesselblätter, gemischt mit Kleie, die wir irgendwo aufgetrieben hatten, überlebte Wullevieh, sah…

Dr. Wolfgang Hubach

„Hallo, ich wusste gar nicht, dass Du schon angekommen bist!“ „Ich komme immer an.“ „Gehen wir essen?“ „Wohin?“ „Caveau?“ „Bleib lieber hier in der Snackbar.“ „OK. Vielleicht treffen wir jemanden.“ „Optimistin!“ „Zumindest werden wir hier nicht alleine an einem Tisch sitzen müssen.“ „Weißt…

Dr. Wolfgang Hubach

„Kommst du jetzt?“ „Wieso jetzt?“ „Ich will mit zur Kirche, um drei.“ „Davon wusste ich nichts.“ „In der Einladung steht es!“ „In der Einladung ist keine Zeit angegeben, folglich ist davon auszugehen, dass wir erst später kommen sollen.“ „Ich will aber mit zur…

Dr. Wolfgang Hubach

Die Lene war ein einfaches Gemüt gewesen, ohne Eltern beim Bauern in Oberhausen aufgewachsen und dann Dienstmagd geworden in Altlußheim, denn zu anderem taugte sie nichts, wie man sagt. Weil sie aber katholisch war und es im neuen Dorf  so keine Kirche gab,…

Dr. Wolfgang Hubach

Als ich dieser Tage  vom Haardtrand her über den Rhein nach Mannheim fuhr, sah  ich „allüberall die Lichtlein blinken“, an geschmückten hohen Tannen auf Straßen und Plätzen, vereinzelt auch schon in Häusern Christbäume hinter Fenstern schimmern von denen, die nie rechtzeitig nie genug…

Dr. Wolfgang Hubach

Die alten Damen, beide Witwen, die in das frei gewordene Appartement gezogen sind, kennen sich seit ihrer Kindheit. Als sie den Vertrag für Betreutes Wohnen unterschrieben, bestanden sie darauf, dass täglich von dem danebenliegenden Seniorenstift um Mitternacht jemand komme, um nachzusehen, ob alles…