Dr. Wolfgang Hubach

Fünfzig Jahre lang stand Morgen für Morgen das Frühstück auf dem Tisch, und jetzt ausgerechnet musste sie in die Klinik.

Fünfzig Jahre lang hatte das Abendessen auf dem Tisch gestanden, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen war, und jetzt, ausgerechnet jetzt musste sie Herzflimmern bekommen.

Fünfzig Jahre lang hieß es „Bleib aus meiner Küche“, und jetzt ausgerechnet sollte er sich selbst versorgen.

Ein Brot konnte er sich zur Not noch streichen, das war kein Problem. Auch Kaffee aufbrühen hatte er im Büro gelernt.

Aber wie, zum Teufel, kocht man ein wachsweiches Ei?

In der Tiersendung gestern Abend hatten sie behauptet, ein Straußenei brauche zwei Stunden, um gar zu werden.

Hühnereier sind kleiner und brauchten vermutlich weniger Zeit dafür.

Probieren, dachte er, probieren geht über studieren.

Also stellte er einen großen Topf mit Wasser auf und legte ein Ei hinein.

Doch wie schaltet man einen modernen Herd an?

Der alte, den sie bei ihrer Hochzeit gekauft hatten und der bis vor einem Jahr seine treuen Dienste getan hatte, besaß wenigstens Knöpfe, die man nur drehen musste, um die Platten zu erwärmen und auf denen die Hitzestärke zu erkennen gewesen war.

Wie aber funktioniert ein Ceranherd?

Hilflos schaute er zum Fenster hinaus.

Draußen ging Nachbars Evi vorbei.

Er bat sie, ihm zu helfen.

Evi hatte wenig Zeit, sagte schnell „Erst hier drauf touchen zum Einschalten, dann hier für die Platte und dann zack zack die Hitze einstellen, fertig.“

Und schon war die Helferin wieder draußen.

Die Platte unter dem Topf wurde tatsächlich heiß und das Wasser begann zu kochen.

Wie lange würde das Hühnerei brauchen, um wachsweich zu werden?

Eine halbe Stunde?

Eine Stunde?

Er entschied sich für die goldene Mitte und stellte die Uhr auf 45 Minuten ein.

Dann deckte er den Tisch.

Brot fand er im Kasten, Butter im Kühlschrank, Marmelade ebenfalls, Wurst und Käse waren anscheinend alle geworden, bevor sie neu einkaufen konnte, mehr durfte es deshalb nicht geben.

Dann wartete er, bis die Uhr klingelte.

Doch wie schaltet man einen Induktionsherd aus?

Er drückte die verschiedenen Markierungen, aber anstatt auszugehen, glühten nach und nach alle Platten auf.

Zum Glück wusste er, wo sich der Verteilerkasten befand und dass der Herd eine eigene Absicherung hatte, die er nur herausdrehen musste.

So gelang es ihm, die Platten abzuschalten.

Danach verbrannte er sich die Finger, als er das Ei aus dem kochenden Wasser fischte, stellte jenes in den Becher und köpfte es gekonnt vorsichtig, weil nichts herausspritzten sollte.

Das Ei war hart wie zu Ostern!

Ein Hühnerei brauchte anscheinend doch wesentlich weniger Zeit als ein Straußenei!

Widerwillig schabte er das zäh gekochte Köpfchen aus und würgte den Teil hinunter.

Als er mit dem Löffel zum Dotter vorstieß und dieser nicht weich und gelb sondern blau verfärbt sich zeigte, warf er das Missgeschick in den Mülleimer.

Der Appetit war ihm vergangen.

Da er aber wenig zum Frühstück gegessen hatte, kam der Hunger bald zurück.

Er stieg in den Keller hinab, wo sie, wie er wusste, die Kartoffeln aufbewahrte, füllte den Topf, in dem er das Ei gekocht hatte und der also auf die bestimmte Platte passte, stieg nach oben, stellte den Hafen auf den Herd, drehte die Sicherung wieder rein, wartete, bis die Platten glühten. Er platzierte auf jede noch schnell einen Topf mit Wasser, damit nicht umsonst geheizt wurde und ging dann aus dem Haus, um Käse, Quark und Heringe zu kaufen, denn solches schmeckte ihm zu Pellkartoffeln am besten.

Als er zurückkam, war das Haus voller Dampf und Qualm.

Rasch drehte er die Sicherung wieder heraus und rannte in die Küche.

Die Wassertöpfe waren leer, die Kartoffeln, die er einfach so, ohne Wasser aufgesetzt hatte, waren zu schwarzen Klumpen verkohlt.

Es stank fürchterlich.

Obwohl er sofort alle Fenster aufriss, der Geruch blieb tagelang in den Räumen hängen.

Was sollte er jetzt tun?

Kurz entschlossen überwand er seine sprichwörtliche Sparsamkeit und ging hinüber zum Ochsen, wo er das Tagesgericht bestellte, Linsensuppe mit Würsteln.

Von da an bereitete er sich zwar täglich das Frühstück, zu Mittag und am Abend aber ging er in’s Wirtshaus.

Anfangs gab er nur ein geringes Trinkgeld, aber da ihn die Kellnerin dort regelrecht verwöhnte, wurde er nach und nach immer großzügiger.

So kam er über die Runden, ohne zu verhungern.

Seine Liebste musste wegen ihres Herzflimmerns nicht nur die üblichen vierzehn Tage in der Klinik bleiben, man schickte sie anschließend auch noch für vier Wochen zur Rehabilitation.

Als sie dann endlich wieder nach Hause kam, hatte er das Herzflimmern.

Der Kellnerin im Ochsen wegen.

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