Dr. Wolfgang Hubach

1.  Aus

Aus!

Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich habe es immer gewusst, dass es eines Tages so kommen würde. Oft habe ich mir Gründe und Argumente überlegt, die sie vortragen könnte und die ich akzeptieren müsste, und ich war bereit, dagegen anzukämpfen.

Aber was kam?

Nichts!

Nichts, was ein normaler Mensch unter normalen Umständen als normale Begründung hätte vorbringen können.

Sie sagte einfach, es gehe nicht mehr.

Das, was sie wünsche, ginge nicht, und das, was gehe, wünsche sie nicht, ich solle es ihr ersparen, präziser zu werden.

Alles hatte ich erwartet, nur das nicht.

Sie, die auf Offenheit so großen Wert legt, sie, die mit ihrem klaren Verstand jede Situation zu beherrschen versteht, sie flüchtete sich in eine vage, argumentlose Phrase.

Ich weiß nicht, wie ich reagiert habe, denn ich war wie weggeschwemmt von mir selbst, stand auf einer Insel und sah eine Person, die mir ähnlich schien, ihr gegenüber sitzen, kühl, distanziert, das Erfahrene analysierend.

Sie hatte offenbar gefühlt – nicht erkannt, sonst hätte sie Gründe angegeben, denn sie ist ehrlich, auch gegen sich selbst – , sie hatte wohl gefühlt, dass jetzt, nachdem wir unser angestrebtes Ziel erreicht hatten, ein Großteil des Gemeinsamen aufgebraucht war. Während ich in Gedanken bereits auf der Suche nach neuen Grenzen für uns gewesen war, hatte sie entschieden, in ihre Zukunft alleine zu gehen.

Für mich war kein Platz mehr.

Es war vorbei.

Aus!

2.  Manchmal

Manchmal ruft er noch an, manchmal sie. Manchmal drei-, viermal in der Woche, manchmal drei, vier Wochen gar nicht. Viel haben sie sich nicht mehr zu sagen, und es wird immer weniger.

Sicher, sie wollen in Kontakt bleiben, schließlich sind sie in aller Freundschaft auseinandergegangen. Sie hatte ganz ruhig gesagt, er müsse begreifen, dass es vorbei sei. Er hatte eingesehen, dass es vorbei war. Streit hatte es nicht gegeben.

Manchmal träumt sie, es wäre noch wie früher, manchmal ertappt er sich, dass er an sie mit ihrem Kosenamen denkt. Sonst ist nicht viel geblieben, und es wird immer weniger.

Sicher, sie haben sich versprochen, wenn es sich ergäbe, weiter für einander da zu sein. Wie das funktionieren sollte, überlegten sie damals nicht.

Manchmal fällt ihm etwas in die Hände, das sie ihm einst gegeben, manchmal greift sie zu einem Buch, das er ihr zu lesen empfohlen hatte. Doch die Erinnerungen verblassen, es werden immer weniger.

Sicher, sie haben sich auch danach noch gezielt beschenkt, versucht, dem Anderen eine Freude zu bereiten, aber in letzter Zeit müssen sie sich immer öfter überlegen, ist das hier von ihm, von ihr?

Manchmal fragt jemand den einen nach dem anderen. Die Antworten werden von Mal zu Mal unbestimmter, denn was sie voneinander noch wissen, wird immer weniger.

Sicher, sie haben nicht vor, sich aus den Augen zu verlieren, aber sie sind nun einmal in aller Freundschaft auseinandergegangen.

3.  Etwas

Zum ersten Mal nach der Trennung besuchte er sie in ihrem Büro, saß ihr am Schreibtisch gegenüber, musterte sie.

Ihr Gesicht war herber, ihre Figur reifer geworden, der Blick, die Stimme kühler, die Sprache geschäftsmäßig.

Er legte die Klarsichthülle auf den Tisch, überreichte die Papiere, wollte Erklärungen hinzufügen. Ungeduldig wischte sie die Blätter lose in den Aktenkoffer. Der Gedanke, ein Kollege könne bemerken, dass sie Privates im Büro bespreche, schien ihr unangenehm zu sein. Außerdem wusste sie, dass sie sich trotz allem auf ihn verlassen konnte, da brauchte es keine Erklärungen.

Er bemerkte ihre Ungeduld, suchte nach einem Grund, sich rasch zu verabschieden.

Das Telefon summte. Ein Besucher sagte sich an. Aus dem Nebenzimmer kam die Sekretärin, entschuldigte sich, dass sie störe.

„Ich gehe gleich“ sagte er.

„Ich komme gleich“ sagte sie.

Rasch verabschiedeten sie sich, wechselten unverbindliche Worte. Zweimal schaute sie dabei auf die Uhr.

Beim Weggehen überlegte er, wie der Besuch vor einem Jahr ausgefallen wäre. Er konnte es sich nicht mehr vorstellen.

Beim Zurücktreten in ihr Zimmer überlegte sie, wie dieser Besuch vor einem Jahr ausgefallen wäre. Sie konnte es sich nicht mehr vorstellen.

War da wirklich einmal etwas gewesen zwischen ihnen?

Es war etwas gewesen!

Zwischen ihnen.

Heute.

Eine ganz neue Art von Fremdheit.

© Das copyright liegt bei dem Verfasser.