Sie zieht ihren Mantel aus, hängt ihn ordentlich an den Haken, setzt sich in Fahrtrichtung und beginnt sofort zu dösen, die Plastiktüten vor den Leib gerafft, damit niemand sie stehle.
Der Zug ruckt an, rüttelt über die schlecht gepflegten Gleise der Nebenstrecke, hält gelegentlich, es stört sie nicht.
Kurz vor der Endstation schreckt sie hoch, schaut aus dem Fenster.
Ob Josef sich wieder hingelegt hat?
Der Bus wird hoffentlich warten.
Was liest der Junge gegenüber?
Josef stirbt!
Blau in blau, Josef stirbt.
Darunter ein fahles Gesicht, Mann oder Frau.
Sie kann es nicht genau erkennen, ohne die Augengläser.
War das ein Zeichen, ein Zeichen, dass er nicht mehr werden würde?
Am Morgen, als sie in die Stadt fuhr, hatte Josef darauf bestanden, nicht im Bett zu bleiben, sondern im Sessel zu sitzen.
Sie hat sich beeilt, den nächstbesten Zug genommen, um wieder nach Hause zu kommen, zu Josef, der ein Kerl gewesen war wie ein Haus.
Und der so plötzlich gar kein Kerl mehr war.
Sie war unruhig, obwohl sie sich schon lange nichts mehr zu sagen hatten, jeder seine eigenen Wege ging.
Auch wenn sie ihn nicht mehr braucht, fragte sie sich, was werden soll ohne ihn.
Sie sind trotz allem aneinander gewöhnt und jetzt ist sie nicht daheim.
Was die Leute reden werden?
Wenn Josef stirbt?
Wenn Josef stirbt und sie ist nicht daheim bei ihm?
Wieso liest ein junger Mensch vom Tod, zu dem er doch noch lange hin hat?
Ob Josef weiß, dass er stirbt, oder ob er weiter glaubt, was der Doktor redet?
Er hat immer gesagt, wenn ich einmal kein Kerl mehr bin, dann ist Schluss und vorbei und dann hoffe ich, dass es schnell geht, ohne Leiden.
Auch wenn es auseinander gelaufen war in den letzten Jahren, wie bei manchen, gibt es doch vieles, was sie gemeinsam haben und das nie zu trennen ist, – das Haus, die Kinder.
Zu wem halten eigentlich die Kinder, zu ihm oder zu ihr, oder ist es denen gleich, was mit ihnen läuft?
Wie werden die Kinder das aufnehmen, das mit Josef?
Werden sie trauern oder nur den Erbfall sehen?
Kommen da neue Wahrheiten heraus, wenn Josef stirbt?
Vielleicht in diesem Augenblick.
Man soll über Tote nichts Böses reden, über Sterbende schon gar nicht.
Mein Gott, was für Gedanken, bloß weil der blöde Kerl gegenüber ein blödes Buch liest.
Josef war es am Morgen doch wieder besser gegangen, er wollte nicht im Bett bleiben, nur raus, hatte er gesagt.
Bestimmt hat er sich inzwischen wieder hingelegt und die ganze Unruhe ist unnötig,
Josef war doch nie krank gewesen und das bisschen Herzkaspern wirft keinen um, schon gar nicht Josef.
Warum fährt der Zug so langsam und warum muss ausgerechnet heute einer im Abteil sitzen und ein Buch lesen, das einem Angst und Bange machen kann.
Gott sei Dank, der Bahnhof.
Sie nimmt den Mantel, nimmt die Taschen, fällt beinahe um, als der Zug scharf bremst.
Raus!
Der Bahnsteig, der Bahnhof, der Bus, kein Kleingeld, die Straße, das Haus, die Treppe hoch, den Schlüssel ins Schloss.
Warum ist das Schloss so klein?
Josef stirbt.
Was stinkt so verbrannt?
In der Küche grelles Neonlicht.
Auf dem Gas glüht der leere Wasserkessel.
Der Holzgriff raucht gefährlich.
Die Kanne samt Filter ist umgefallen.
Kaffeepulver liegt auf der Anrichte, dem Boden.
Josef, mein Gott, nichts kann man dir auftragen, alles muss man selber machen.
Wo ist Josef?
Er hat sich anscheinend noch ins Zimmer schleppen können, war denn vor dem Bett zusammengebrochen, liegt da auf dem Rücken, das Gesicht nach oben.
Blau in blau wie bei dem Buch.
Oh Josef, tu mir das nicht auch noch an!
Komm zu dir, auf, wenigstens in den Sessel, bis ich den Doktor geholt habe.
Los, hoch, Josef, auf, du wirst dich erkälten zu allem Unglück dazu.
Ganz kalt fühlt er sich an.
Und so fremd.
Nichts mehr von dem, was einmal ihr Josef gewesen war.
Das Zeichen im Zug!
Nur schnell jetzt, schnell!
Die Notfallnummer.
Josef stirbt, Herr Doktor.
Schnell!
Josef ist tot.