Dr. Wolfgang Hubach

Es war gräßlich, damals. Wir haben bei der Großmutter gewohnt, das Haus sollten wir bekommen, wenn sie stirbt, und wir haben ihre Äcker mit bepflanzt. Als es dann so weit war, ging das ganze Feld an die anderen, denn wir hatten ja das Haus. Das war gerecht, auch, dass wir noch etwas herauszahlen mussten, aber wie sollten wir von unseren paar Lappen Land denn leben, wo niemand Arbeit fand zu der Zeit?

Ich war fast noch ein Kind und begriff gar nicht, wieso wir die zwei Milchkühe verkauften und dafür eine Geiß einstellten. Später musste sogar noch die eine Fahrkuh abgegeben werden, aber das brachte außer gespartem Futter nicht viel ein, weil der Wagen auf einspännig umgerüstet werden musste, und das kostete Geld.

Dann kam der Sturm. Der hat einfach das Dach abgedeckt. Die meisten Ziegeln waren ganz geblieben und konnten wieder aufgelegt werden, aber es blieb ein großes Loch, das mit Säcken verspannt worden war, und Geld gab es nicht. Der Raiffeisen gab nichts, weil zu viel Hypotheken auf dem Haus lagen. Das ist es ja, wenn einer von den Großen Geld braucht, verkauft er ein paar Aktien, und wenn er wieder Geld hat, kauft er zurück. Wenn du ein Haus hast, geht das nicht. Du kannst nicht sagen, ich verkaufe mal die Ziegeln, und wenn ich wieder Geld habe, werden die wieder aufgelegt. Da geht alles hin. Ein Haus hast du entweder ganz oder gar nicht.

Im Winter hatten wir Wellen gebunden, das waren Äste von gefällten Bäumen, die man für ein paar Pfennige vom Waldschütz kaufen konnte. Ich seh’s noch vor mir, und wenn ich hundert Jahre alt werde. Der Vater hat an dem Abend dagesessen und Wellen gebrochen und in den Herd geschoben, gebrochen und geschoben, immer so. Es gab nur das Herdlicht in der Küche. Die Mutter und ich saßen am Tisch, die Hände aufgelegt wie in der Schulbank, weil sich niemand zu rühren traute. Der Vater war kein schlechter Mensch, nur ein Hitzeblitz und mich konnte er nicht leiden, weil ich nichts mehr hatte werden sollen, so viele Jahre nach dem letzten Buben. Er machte der Mutter deshalb oft Vorwürfe, bis zum Schluss. Es wäre ihm bestimmt leichter gewesen, wenn ich nicht da gewesen wäre. Aber ich war’s halt.

Einmal hat es geklopft. Der Vater ist raus, und dann hat er gesagt, morgen kommt der Max. Die Mutter hat geheult und ich auch, denn der Max war der Viehhändler und wir hatten doch nur noch eine Kuh.

Dann hieß es: „Ab ins Bett!“ da hat die Mutter gejammert: „Ach, Kind! Kind!“ Aber der Vater hat gebrüllt: „Halt die Gosch! Du hast doch …“ und dann noch etwas Schlimmes. Ich hab’s erst später verstanden.

Am nächsten Tag kam der Max. Da hat der Vater gesagt: „Du musst’s mit ihm machen.“ Ich wusste gar nicht, was. Gut, ich hatte schon mal einen Säugling gesehen oder im Sommer, wenn die Konfirmanden baden waren, an der Bleiche, dass bei denen etwas spannt, aber sonst doch nichts.

Der Max ist mit mir in die Kammer, es war kalt dort, aber ich habe mich ganz ausziehen müssen. Dann hab ich mich hingekniet, ich hab’s doch bloß gewusst vom Vieh, aber er hat mich ausgelacht und hat gesagt, ich bin meschugge. Ich war so krank vor Angst, dass ich gar nicht viel gemerkt habe.

Aber danach gab es lange nichts mehr. Ich kann manchmal heute noch nicht hinschauen. Mein Mann war dann immer ganz ärgerlich. Aber er hat von nichts gewusst. Na, heute bin ich Gott sei Dank allein.

Als der Max ging, blieb ich einfach liegen. Der Vater hat gedengelt und gedengelt, das war so damals, damit keiner einen schreien hört; dem muss bald der Arm abgefallen sein vor Müdigkeit. Auf einmal konnte er nicht mehr und kam ins Haus. Der Max war fort. Sonst gab es immer zwei Schuldscheine für das erste Mal, bei mir gar nichts. Da hat mich der Vater im Bett herumgeschlagen, weil ich nichts tauge.

Der Max ist dann wiedergekommen und hat dem Vater alle kleinen Scheine gegeben, weil ich so goldig blöd mich angestellt hatte.

Von da an ging der Vater mir aus dem Weg, erst recht, als die Mutter tot war. Er hat sich auch von mir nicht pflegen lassen, als es ans Sterben ging. Nicht einmal die Hände durfte ich ihm waschen.

Der Max konnte gar nichts dafür. Die Frau war tot, und er war halt ein Mann, und die Zeiten waren schlecht.

Wir haben ihn fast alle erlebt in meiner Generation. Was habt ihr Jungen es da gut, heutzutage, wo ihr gar nicht wartet, bis erst ein Max kommt.

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