Ich will mich nicht beklagen, denn ich hätte wissen müssen, worauf ich mich einlasse. Aber ich wusste nicht, dass alles so schwer für uns werden würde. Ich liebe meinen Mann, er war vom ersten Augenblick an in mich vernarrt, jedoch, wir leben jetzt im Dorf und dort leben wir in einem Glaskäfig.
Ich bin in Hamburg groß geworden, in Alsterdorf, inmitten wunderschöner Gärten und doch in der Großstadt. Meine Liebe zur Natur war schwärmerisch, mein Wunsch, Agrarwissenschaft zu studieren, von meinen Eltern zunächst als liebenswürdiger Spleen, nach dem Abitur aber mit viel Bedenken akzeptiert worden.
Ich studierte in Hohenheim an der TH, mein Mann an der Fachhochschule in Weinsberg. Dort lernten wir uns während meines Forschungssemesters kennen und wurden ein Paar, zuerst in seiner Studentenbude, was hier keiner wissen darf, dann hochoffiziell mit Kirche und allem Pipapo, obwohl ich nie einer Religionsgemeinschaft angehört habe. Das darf auch keiner wissen.
Die Schwierigkeiten zwischen uns beruhen nicht darauf, dass mein Mann im Gegensatz zu mir kein Vollakademiker ist, er hat genügend Selbstbewusstsein, das nicht als belastend zu empfinden, auch nicht darauf, dass meine neuen Verwandten hugenottische Starrköpfe sind, sie erkennen an, was ich bin und kann und werfen mir nie vor, dass ich nur ein Backsteinhäuschen am Winterlingstieg als Erbe in Aussicht habe, es sind die anderen im Dorf, die den Unfrieden stiften.
Es ist vielleicht nicht unbedingt deshalb, weil ich eine Studierte bin, die Frau eines Verwandten ist das auch, aber die Glückliche wohnt nicht wie wir mitten im Dorf, sondern in einem Aussiedlerhof. Was ich überall spüre, ist entweder spöttische Nachsicht – kein Wunder, sie ist halt von der Stadt – oder hämische Bosheit – der Stadtfrack, woher soll die schon was können. Solche Bemerkungen bekomme ich öfter zu hören. Anfangs reagierte mein Mann recht heftig und nahm mich in Schutz. Aber mit jedem Tag, den wir länger hier leben müssen, wird er dem Dörflichen angepasster. Es sind Kleinigkeiten, aber sie summieren sich zu spürbaren Größen.
Wenn wir zusammen arbeiten, bittet er mich darum, dieses oder jenes zu tun, wissend, dass ich es kann. Hören Dörfler zu, befiehlt er und schreibt mir bis ins Detail vor, was ich zu tun hätte. Er merkt das gar nicht. Wenn ich ihn daraufhin anspreche, reagiert er meist ganz verblüfft.
Ich weiß, es ist irreal, aber jedes Jahr gibt es ein Sprüngelchen in dem Glaskäfig. Eines Tages ist er krakeliert und beim nächsten Antupfer fällt er in tausend Stücke auseinander. Dann wird der fremde Vogel fortfliegen. Obwohl ich es nicht kann, bete ich, dass es erst in langer, langer Zeit sein möge, denn dass der einheimische Vogel mit mir fliegen wird, das wage ich nicht einmal zu denken.