Als ich dieser Tage vom Haardtrand her über den Rhein nach Mannheim fuhr, sah ich „allüberall die Lichtlein blinken“, an geschmückten hohen Tannen auf Straßen und Plätzen, vereinzelt auch schon in Häusern Christbäume hinter Fenstern schimmern von denen, die nie rechtzeitig nie genug bekommen können und dazwischen zuckende Scheinwerfer von Discos, die die Lichtglocke über dem Land zerrissen. Auf einmal ein Brummen, ich weiß nicht woher, aber plötzlich war mir die schreckliche Zeit wieder gegenwärtig – Advent 44.
Die Leute wussten damals schon, dass der Krieg bald zu Ende sein würde, so oder so. Die Front kam immer näher. Am Tage jagten die Jabos alles, was sich auf der Erde bewegte, des Nachts brachten Bomber Tod und Vernichtung über Städte und Dörfer. Doch bevor sie ihre tödliche Lasten abluden, zeigten sie auf makabre Art, dass bald Weihnachten werden würde: Um ihre Bereiche, die sie bombardieren sollten, besser erkennen zu können, setzten sie Christbäume, große Lichtergebilde, die das Zielgebiet hell ausleuchteten und die sich manches Mal von der Haardt bis zum Odenwald zogen, irre durchflackert von Scheinwerferstrahlen der Flugabwehr und bald abgelöst von den brennenden Todesschneisen durch die Städte und das Land.
Nacht für Nacht flogen sie Angriffe. Am 04. Dezember traf es Heilbronn. Der Feuerschein war zwei, drei Nächte lang bis zur Haardt hoch zu sehen. Anfangs glaubten die Menschen, es sei das östliche Mannheim oder dessen Hinterland, das getroffen worden sei. Niemand konnte sich vorstellen, dass ein Ort, der in Luftlinie 80 bis 100 km entfernt brennt, einen so hellen Schein verursachen könne. Erst durch eine Meldung im Radio, die Engländer hätten einen Terrorangriff auf die mittelalterliche Fachwerkstadt geflogen, wurde die Wahrheit bekannt.
Die Advenstbeleuchtung am Himmel ging weiter, tauchte immer und immer wieder als Vorbote mörderischen Unheils über Mannheim und Ludwigshafen auf. Die meisten Menschen, soweit sie überhaupt noch eine Wohnung hatten, trauten sich nicht, sich einen Adventskranz oder gar einen richtigen Christbaum aus dem Walde zu besorgen. Die wenigen, die, vielleicht aus dem eigenen Garten geholt, wenigstens einen grünen Ast aufgestellt hatten, hingen als Lametta die Silberstreifen über die Nadeln, die von den Flugzeugen als Störmittel gegen das deutsche Radar abgeworfen worden waren, zwischen die Ästchen vielleicht einige Holzfigürchen, die vom Winterhilfswerk trotz des totalen Krieges nochmals vertrieben worden waren, und schmückten mit Kerzen nur dann, wenn es ihnen gelungen war, sich aus Stearinresten selbst welche zu gießen, in einer alten Patronenhülse, in die vorher ein Sackfaden eingespannt worden war.
Tag für Tag und Nacht für Nacht tobte Angriff auf Angriff über das Land. Auch der Heilige Abend war nicht ohne Alarm abgegangen. Ich weiß es nicht mehr, ob wir nur im Keller oder zwischendurch auch in der Wohnung versucht haben, ein bisschen Feierlichkeit aufkommen zu lassen.
Dennoch, „Fröhliche Weihnachten“ hat damals wohl niemand gewünscht.