Dr. Wolfgang Hubach

Als Antonia 5 Jahre alt war, saß an Ostern ein niedliches kleines Zwergkaninchen im Nest.

Antonia war glücklich. Sie schleppte das Tierchen überall herum und ließ niemand an es heran.

„Ihre erste Liebe!“, sagte die Mama.

„Dummes Zeug!“, sagte die die Großmutter, die immer praktisch denkt und alles gleich beim Namen nennt. „ Dummes Zeug! Die erste Liebe hat man doch nicht zu einem Vieh!“

Antonia war traurig, weil die Großen so redeten und sagte zu dem Kaninchen: „Hoppel, ich hab dich trotzdem lieb!“

Als der Herbst kam, war das niedliche kleine Zwergkaninchen zu einem großen Belgier Riesen ausgewachsen und Antonia konnte ihn gar nicht mehr herumtragen, so schwer war er geworden.

Eines Tages war Hoppel verschwunden, niemand wollte sagen, wohin. Antonia weinte sehr, tröstete sich dann aber mit dem schönen Hasenbraten, den Großmutter auf den Tisch gebracht hatte.

Als Antonia 6 Jahre alt war, stand an Ostern ein niedliches kleines Lämmchen neben dem Nest.

Antonia war glücklich. Sie schleppte das Tierchen überall herum und ließ niemand an es heran.

„Ihre erste Liebe!“ sagte die Mama.

„Dummes Zeug!“, sagte die Großmutter, die immer praktisch denkt und alles gleich beim Namen nennt. „Dummes Zeug! Die erste Liebe hat man doch nicht zu einem Vieh!“

Antonia war traurig, weil die Großen so redeten und sagte zu dem Lämmchen: „Wolli, ich hab dich trotzdem lieb!“

Als danach zum dritten Mal der Herbst kam, war das niedliche Lämmchen zu einem großen, schweren Hammel ausgewachsen. Antonia konnte ihn gar nicht mehr herumführen, so störrisch war er geworden.

Eines Tages war Wolli verschwunden, niemand wollte sagen, wohin. Antonia weinte sehr, tröstete sich aber mit dem schönen Braten auf Butterbohnen, den Großmutter auf den Tisch gebracht hatte.

Als Antonia 9 Jahre alt war, saß an Ostern ein niedliches langohriges Hündchen im Nest.

Antonia war glücklich. Sie schleppt das Tierchen überall herum und ließ niemand an es heran.

„Ihre erste Liebe!“ sagte die Mama.

„Dummes Zeug!“, sagte die Großmutter, die immer praktisch denkt und alles gleich beim Namen nennt. „Dummes Zeug! Die erste Liebe hat man doch nicht zu einem Vieh!“

Antonia war traurig, weil die Großen so redeten und sagt zu dem Hündchen: „Ohrchen, ich hab dich trotzdem lieb!“

Als danach zum fünften Mal der Herbst kam, war das niedliche Tierchen längst zu einem starken und klugen  Schnauzer herangewachsen und Anna konnte sich in seiner Gegenwart immer sicher fühlen.

Eines Tages, als Antonia vierzehn Jahre alt war, war Ohrchen verschwunden, niemand konnte sagen, wohin. Antonia weinte sehr und konnte sich nicht einmal mit dem schönen Essen trösten, das Großmutter auf den Tisch gezaubert hatte.

Als Antonia fünfzehn Jahre alt war, stand an Ostern ein niedlicher großer Junge an Nachbars Zaun neben dem Nest.

Antonia war glücklich. Sie schleppte den Burschen überall herum und ließ niemand an ihn heran.

„Ihre erste Liebe!“ sagte die Großmutter, die immer praktisch denkt und alles gleich beim Namen nennt.

„Dummes Zeug!“ sagte die Mama,  „Anna ist doch erst fünfzehn und noch viel zu jung!“

„Du warst vierzehn!“ sagte die Großmutter.

Da bekam die Mama einen roten Kopf.

Antonia war traurig, weil die Großen so redeten und sagte: „Ich hab ihn trotzdem lieb!“

Da Mama den Jungen nicht kannte, wollte sie wissen, wie er denn aussehe.

„Rothaarig, sommersprossig, pickelig, Schlappohren wie ein Meßdiener, Flossen wie ein Walfisch und Haxen wie ein Trampeltier!“ sagte die Großmutter, die immer praktisch denkt und alles gleich beim Namen nennt.

Antonia war wütend, weil die Großen so redeten und schrie zu den beiden: „Aber küssen kann er besser, als alle anderen auf der Welt!“

„Ach ja“, sagte die Großmutter, „Ein Fischmaul hat er auch!“

Das war zuviel für Antonias kleines Herz!

„Ihr seid gemein!“ schrie sie, „Ich gehe weg und komme nie, nie wieder!“

Antonia nahm ihr Fahrrad und strampelte in den Stadtpark. Dort, wo Amor auf der Säule steht, wollte sie sich mit ihrem Liebsten treffen um sich auszuweinen.

Der Junge kam um die Ecke am Busch.

Seltsam, dachte Antonia, er ist wirklich so rothaarig und sommersprossig und pickelig, wie Großmutter gesagt hat; und Schlappohren hat er, und Hände wie Flossen und Füße, so groß, dass man mit seinen Schuhen Paddelboot fahren könnte.

Antonia musste auf einmal lachen und alle Traurigkeit war wie weggeblasen.

„Warum lachst du?“, fragte der Junge.

„Drum!“ sagte Antonia.

Da spitzte er die Lippen und schmatzte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.

„Fischmaul!“ sagte Antonia und lachte noch mehr.

Gerade kam Nachbars Franz vorbei und lachte mit.

Wütend rannte die erste Liebe davon.

Antonia aber nahm den Neuen bei der Hand, schleppte ihn überall herum und ließ niemand an ihn heran.

„Die zweite erste Liebe!“ sagte die Großmutter, die alles gleich beim Namen nennt.

Und wie das ganze jetzt weiter gehen wird, weißt du selbst.

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