Dr. Wolfgang Hubach

Es war Ende der vierziger Jahre, die D–Mark gab es bereits, aber kaum jemand hatte sie schon so richtig in der Tasche, da mussten, wie alle Jahre am 6. Dezember, die heranwachsenden Burschen sich als Nikolaus verkleiden, um, bestellt von den Eltern, die kleinen Kinder zu Recht und Ordnung anzuhalten. Als Bezahlung sollte es eine Dose Hausmacher Wurst oder ein Stück Schinken geben.

Es waren raue Zeiten, so kurz nach dem Krieg.

Damals lief noch keiner im roten Mantel eines Weihnachtsmannes durch das Dorf oder schritt gar als katholischer Bischof würdevoll durch die Gegend. Nein, man trug als Pelznickel protestantisch schlicht einen langen dunklen Mantel mit Kapuze und einer Kette um den Bauch, im Gesicht einen wilden Bart aus Werg, in der Hand eine gebundene Haselrute oder einen Hainbuchenprügel, auf dem Rücken einen Sack, aus dem zwei ausgestopfte Kinderstrümpfe herausschauten, zum Zeichen dafür, dass vom Nickel die bösen Kinder tatsächlich mitgenommen würden.

Ich hatte an jenem Abend bei drei Familien vorbeizukommen, zum Schluss beim Jakob, einem im Krieg verkrüppelten Bauern, den seine Lisa mit fast einem Dutzend Feger bestraft hatte. Sie war ein böses Weib, drangsalierte Mann und Kinder und hatte mir ausdrücklich aufgetragen, die Verrecklinge alle, aus den zwei Kleinsten, tüchtig durchzuprügeln. Ich müsse aber aufpassen, die Zwillinge, die schon konfirmiert seien, schlügen wahrscheinlich zurück. Ich ging also mit einem etwas unguten Gefühl dorthin, kam um die Ecke, klingelte extra laut mit der Torschelle, um mich anzukünden, trat in den Hof und stand einem zweiten Pelznickel gegenüber. Ich erkannte ihn sofort und fragte verblüfft: „Wer hat dich denn bestellt?“

„Die Zwillinge“ meinte er, „die haben für mich extra ein Stück Speck aus dem Rauch geklaut, damit ich die Älteste auch verprügle, weil die immer alles verrät. Und du?“ „Ganz normal die Großem die Frieda“, meinte ich: „Für eine Dose Schwartenmagen“.

Da schellte es noch einmal am Tor und ein dritter Pelznickel kam herein, groß und grob und der brüllte gleich los: „He, was wollt ihr denn da?“ Dann riss er mir und dem anderen die Bärte ab und haute sie uns um die Ohren, wir schlugen zurück, rissen seinen Bart herab und im Nu war eine richtige Rauferei im Gange, sehr zur Freude der Kinder, die ja eigentlich verdroschen werden sollten und die hinter der Tür vorguckten und dabei ernsthafte Zweifel bekamen, ob das mit dem Nickel denn wirklich wahr sein könne.

Die Lisa holte den Besen und jagte uns vom Hof, dabei kamen Wörter aus ihrem Mund, die den Kindern eigentlich noch gar nicht hätten zu Ohren kommen dürfen. Auf dem schnellsten Weg verschwanden wir auf die Gasse. Wurst, Speck und Schinken waren wir los.

Draußen vor dem Tor versuchten wir alle drei, uns wieder einigermaßen zurechtzuzupfen.

„Jetzt sag`“, meinte ich zum Dritten; „Wer hat eigentlich dich bestellt?“

Er grinste: „Der Alte! Ich hätte sollen mal richtig seine Lisa verdreschen, ihr habt´s ja gesehen, die hat´s verdient“.

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