Dr. Wolfgang Hubach

Die Lene war ein einfaches Gemüt gewesen, ohne Eltern beim Bauern in Oberhausen aufgewachsen und dann Dienstmagd geworden in Altlußheim, denn zu anderem taugte sie nichts, wie man sagt. Weil sie aber katholisch war und es im neuen Dorf  so keine Kirche gab, lief sie sonntags zum Beichten nach Rheinhausen und gelegentlich zur Wallfahrt nach Waghäusel, das ließ sie sich nicht nehmen, auch wenn es nichts zu beichten gab und ihr Herr oft schimpfte mit ihr wegen der Pfafferei.

Eines Tages verlangte ihr Beichtiger Buße für gebeichtete aber nicht getane Sünden. Der Bauer tobte und wollte sie nicht gehen lassen außer der Zeit, aber sein Pfarrer drohte ihm, wenn er das Mädchen nicht zu ihrem Herrgott gehen ließe, hätte er selber die Hölle verdient.

Also lief sie anderen Morgens vor der Sonne her über das Feld auf Waghäusel zu, weil auf den Straßen große Mengen Wagen und Pferde und Männer sich drängten, soweit das Auge sehen konnte. Dann fielen in der Ferne Schüsse, das Heer auf den Straßen formierte sich und plötzlich war Lene mitten in einem Gefecht, schaute ganz verbehlt umher, bis ein Soldat sie hinschmiß, bevor eine Kugel sie treffen konnte. Lene fiel neben einen Verwundeten, der seine Blessuren zu verbinden suchte. Da half ihm das Mädchen, kroch zum nächsten Getroffenen, die Schlacht wogte über sie hinweg, sie half und verband und tröstete und ihr Schutzheiliger bewahrte sie davor, selbst eine Kugel zu fangen.

„Maidl, dü bisch e Engl! Merci vielmols“ sagte ein Elsässer dankbar, „Liewes, uhne Dich mißt isch schderwe“ dankte ihr ein Pfälzer, „Moi, Fraule, woher het se die Kurraasch?“ fragte ein Oberländer sie.

Gelegentlich kam sie zwischen die Fronten, pflegte neben Freischärlern Männer in fremden Uniformen, deren Sprache sie nicht verstand, half einem Herrn Offizier, leichter zu sterben in einem Frauenschoß.

Es wurde dunkel, Lene jedoch lief weiter über das Schlachtfeld, suchte, wo sie helfen könne. Da sprengte ein preußischer Reiter heran, sah den huschenden Schatten und hieb mit seinem Säbel zu.

Am nächsten Morgen schaffte man mit Hilfe der Bauern aus den Dörfern rundum die Toten weg, begrub sie zum Teil, warf die meisten aber in einen verlandenden Altrheinarm und fuhr Grund darüber.

Alle rechtmäßig Beerdigten hat man preußisch-korrekt registriert. Lenes Name ist nicht darunter. Sie liegt wohl im Altrhein, niemand weiß genau wo. Doch von ihren Taten erzählten die Kämpfer noch lange, Preußen und Republikaner. Der Lußheimer Bauer aber, der vergeblich auf Lenes Heimkunft gewartet und erst durch einen Rückkehrer von der Geschichte erfahren hatte, schrieb in sein Gebetbuch:

Am 21 Juni 1849 war bei Waghäusel von den Preusischen Truppen und den Badischen Freischaren eine große Schlacht geliefert das auf beiden Seiten viele verwundet und Tod geblieben sein. Von Lene liest man nichts.

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