Sie war einfach von ihm gegangen.
Lag morgens friedlich im Bett neben ihm und war tot.
Er war wie gelähmt.
So lange waren sie zusammen gewesen und jetzt sollte das alles zu Ende sein?
Zum Glück wohnten die Kinder in der Nähe. Diese erledigten alle Gänge für ihn, füllten Formulare über Formulare aus, kauften eine Urnenkammer und organisierten die Einäscherung.
Als die Tochter erfuhr, dass die Eltern geplant hatten, am nächsten Wochenende für acht Tage in den Winterurlaub zu fahren, bestand diese darauf, dass er alleine ginge, um Abstand zu gewinnen, zumal die gewünschte Ferienwohnung schon angezahlt war.
Er ließ sich überreden, packte seine Sachen zusammen und fuhr gleich nach dar Beisetzung los.
Die gebuchte Ferienwohnung lag mitten im Ort am tief verschneiten Marktplatz. Trotzdem würde der Verkehr nicht stören, zum einen, weil man wegen der Kälte die Fenster geschlossen halten musste, zum anderen, weil bei dieser Witterung kaum Verkehr herrschte.
Langsam packte er seine Sachen aus, holte den Kulturbeutel aus dem Koffer und sah, dass er nicht seinen, sondern den der verstorbenen Frau mitgenommen hatte.
Er würde also alles neu kaufen müssen, Zahnputzzeug, ein Rasierset und einige Kleinigkeiten mehr.
Neugierig öffnete er die falsche Kosmetiktasche und erstarrte. Sie war voller Blisterpackungen mit den starken blutdrucksenkenden Tabletten, die sie hätte nehmen sollen, aber anscheinend nicht genommen hatte.
Kam daher ihr plötzlicher Tod?
Er wusste zunächst nicht, was er mit dem Fund machen sollte, denn ihn hier in die Mülltonne zu werfen, scheute er sich. Darum legte er den Beutel zunächst in seinen Koffer zurück, zog seinen Mantel an und ging einkaufen.
Als er zurückkam, bemerkte er, dass auf beiden Fensterbrettern vor seinem Schlafzimmer Tauben saßen, die laut gurrten. Sie blieben durchgehend hörbar. Sogar in der Nacht war ihr Gurren immer wieder zu hören.
Schlecht ausgeschlafen stellte er fest, dass die Vögel verschwunden waren. Ein Blick aus dem Fenster zeigte den Grund. Eine alte Dame fütterte eine große Schar wilder Tauben, obwohl das eigentlich verboten war. Er sah aber auch, dass die Fensterbretter vor seinem Zimmer total verkotet waren.
Da kam ihm ein Gedanke, wie er Abhilfe schaffen könne.
Er ging in den Ort und kaufte ein Bauernbrot mit weicher Krume. Wieder zu Hause, begann er, mit den gefundenen Blutdrucktabletten und weichem Brot Kügelchen zu formen, die er auf die Fensterbank legte. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Tauben kamen und die unerwartete Futtergabe gierig verschlangen.
Vom Tag an wurde der Taubenschwarm kleiner und kleiner. Die Tiere verschieden an zu niedrigem Bluttdruck, der stetig fallende Schnee deckte sie zu. Man würde die Kadaver erst nach der Schneeschmelze entdecken.
Am letzten Urlaubstag beobachtete er noch einmal die alte Dame, die vergeblich lockte. Es kamen keine Vögel mehr zur Fütterung.
Er war zufrieden damit, dass er dieses gefiederte Ungeziefer ausgerottet hatte, und dazu nur relativ wenige der Tabletten verbrauchen musste. Außerdem war er überzeugt, dass seine liebe Verstorbene zu Hause weitere Pillen versteckt hatte.
Auf der Rückfahrt beschloss er, sich einen Frühjahrsurlaub in Italien zu gönnen, in Venedig.
Und im Sommer einen auf Sylt.
Er hatte gelesen, dort fräßen die Möwen den Urlaubern aus der Hand.