Als der Mann zum ersten Mal ihre Mutter an der Haustür abholte, wurde Kerstin misstrauisch. Bald wartete er nicht mehr vor dem Haus, sondern kam in die Wohnung. Ihre Mama stellte ihn ihr als einen Freund vor. Kerstin war alt genug, um die Blicke, die die beiden tauschten, zu deuten. Sie gab sich deshalb keine Mühe, ihre Abneigung zu zeigen. Wie konnte ihre geliebte Mutti sich mit einem Kerl einlassen, wo Vati doch erst ein Jahr tot war!
Etwas später meinte Mama, Kerstin sei alt genug, auch einmal ein paar Stunden alleine zu sein, gab ihr einen flüchtigen Kuss und ging. Die Tochter war am Morgen schon wach, als die Mutter zurückkehrte. Des Mädchens Abneigung wurde zur Ablehnung.
Manchmal ging die Mutter an mehreren Abenden weg, manchmal blieb sie Tage oder Wochen zu Hause. Als Kerstin fragte, erfuhr sie, dass der Mann im Außendienst eingesetzt sei und daher öfter auch ins Ausland müsse. Währen dieser Tage bemühte sich die Mutter, besonders liebevoll zur Tochter zu sein.
Eines Tages kam der Mann in die Wohnung und blieb über Nacht. Kerstin wusste schon längst, was da geschehen würde. Und da der Kerl sich auch noch in Vatis Bett legte, in dem sonst sie schlafen durfte, wenn beide alleine waren, kam in ihr der blanke Hass auf.
Der Kerl, wie sie ihn nannte, versuchte, sie mit Geschenken für sich zu gewinnen, sie nahm diese aber demonstrativ nicht an. Kurz vor Weihnachten kam er aus China zurück. Von dort hatte er Maxiböller mitgebracht, Wie er diese gefährlichen Sylvesterkracher am Zoll hatte vorbeischmuggeln können, bleib sein Geheimnis. Als Kerstin alleine zu Hause war, holte sie den größten Kracher hervor und schnitt die Zündschnur kurz. Als sie den Abschnitt betrachtete, sah sie, dass der am Anfang als Zündvorrichtung mit einer weichen Masse überzogen war. Ihr war klar, dass er nicht anzünden würde, wenn nur ein Stummel herausschaute. Sie holte deshalb eine braune Weihnachtskerze, zündete sie an und tropfte das Wachs auf den Stummel und stopfte dann die abgeschnittene Zündschnur hinein. Dass die Bombe nicht hier schon explodierte, war ein Wunder.
An Sylvester weigerte Kerstin sich, mit auf die Straße zu gehen. Sie blieb am Wohnzimmerfenster stehen und schaute zu, wie ihre Hassfigur mit den Böllern hantierte. Sei sah, wie er stutzte, als er die seltsame Zündschnur sah. Dann aber nahm er doch ein Streichholz und zündete. Die Detonation zerfetzte ihm die Hände und das Gesicht. Er starb bereits im Notfallwagen auf dem Weg zum Krankenhaus.
Kerstin fühlte keine Reue. Sie war nur glücklich, ihre Mutter wieder ganz für sich zu haben – und, dass sie wieder in Vatis Bett schlafen durfte.