Die Jungs streiften durch den Wald am Hochufer entlang.
„Wer traut sich hier runter“? fragte Tim.
Alle!
Also begannen sie sich von Baum zu Busch und von Busch zu Baum nach unten zu hangeln, immer in der Gefahr, abzustürzen.
Am Ufer des Flüsschens angekommen, machten sie eine grausige Entdeckung. Im Gras lag eine von Fliegen umsummte extrem magere nackte Frau, die Arme ausgebreitet, die Beine mit den spitzen Knien angezogen, dazwischen kein Vließ. Sie hatte statt eines Nabels eine wulstige, schlecht verheilte Narbe, Brustwarzen, aber keine Brüste, ein spitzes Kinn, keine Augen mehr in den Höhlen und schwarzgraues wirres Haar, das wie ein Kragen um den Kopf herum lag.
„Eine Hexe“! behauptete Max. „Die haben Hexensabbat gefeiert“!
„Nein, das war Voodoo“! widersprach Jan und zeigte auf den Grillspieß, der zwischen den Rippen stak. Die Tote war durch einen Stich umgekommen hatte dabei aber nach oben nur wenig Blut verloren, das als schwarzer Fleck, „Hexenblut“! meinte der Junge, um die Tatwaffe herum angetrocknet war.
„Wie mag die hierher gekommen sein“? sinnierte Tim, denn dass die Frau und ihr oder ihre Mörder den Steilhang herunter gekommen waren, schien unmöglich.
„Wahrscheinlich mit einem Floß“, vermutete Luca, der vierte im Bunde.
Die Jungen, die den Leichnam mehrmals umgangen hatten, beachteten erst jetzt die Lücke im Ufergebüsch, drangen bis zum Wasser vor und vernichteten die letzte Spur, die einen Hinweis hätte geben können, wie die Frau hierher gekommen war.
Jan zog sein Handy hervor.
„Wir müssen die Polizei verständigen“!
„Und wenn die uns verhaften, weil sie uns für die Täter halten“?
„Quatsch! Die Hexe ist doch schon länger tot“!
Als die Polizeidienststelle sich meldete, glaubte der Beamte erst an einen schlechten Scherz. Dann erkundigte er sich, wie die Buben an die Stelle hingekommen waren und versprach endlich, einen Streifenwagen vorbeizuschicken.
Die vier überlegten, woher die Frau und ihre Mörder gekommen waren, falls sie den Wasserweg benutzt hatten.
„Das kann nur flussauf gewesen sein. Wenn die Mörder genau so mager gewesen waren, hätten sie es nie geschafft, gegen den Strom zu rudern“!
Die anderen stimmten zu.
Es dauerte eine ganze Weile, bis oben auf dem Steilufer Motorengeräusch zu hören war. Jemand rief, „Wie kommt man hier runter“?
„Klettern oder vom Fluss her“!
Es dauerte noch einmal eine Weile, bis ein zweites Auto zu hören war. Dann kam ein Polizist, angeseilt, den Steilhang herunter. Als er die Leiche sah, gab er über sein Funkgerät erste Hinweise nach oben. Dann scheuchte er die Jungen weg, dies sei kein Platz für Kinder, sie sollten sich aber oben beim Dienstfahrzeug melden, um ihre Aussage zu machen.
Dass sie Kinder genannt wurden, passte ihnen gar nicht.
Luca meinte, „Denen zeigen wir’s“ und begann, am Ufer entlang flussauf zu gehen. Auf einmal tauchte, dort, wo das Hochufer am steilsten war, eine kleine Hütte auf, versteckt im Gebüsch, die wahrscheinlich von einem Angler ohne Genehmigung erbaut worden war, wie Jan vermutete, denn er hatte bei einem Gespräch zwischen den Eltern gehört, dass der Förster weiter unten so einen illegalen Unterschlupf gefunden hatte, der dann von Waldarbeitern zerstört worden war.
Neben der Hütte war der Boden verkohlt. Aluminiumteller lagen herum, wie man sie zum Bodengrillen braucht.
Neugierig traten die Buben in das Innere und Jan meinte sofort: „Voodoo“!
Der Boden war übersät mit leeren Flaschen, Zigarettenschachteln und Kippen und dazwischen lagen zwei, drei gebrauchte Spritzen. Und mitten darin lag eine Stoffpuppe, der ein Grillspieß durch die Brust gestochen war.
Jan nahm wieder sein Handy und berichtete der Polizei, was sie hier gefunden hatten. Es wurde ihnen nicht gedankt, sondern Strafe angedroht, falls sie etwas berühren sollten!
Bald kam der Beamte, der als sich erster abgeseilt hatte, der, der sie „Kinder“ genannt hatte, verscheuchte die Buben und begann den Tatort zu untersuchen. Die Jungen gingen daraufhin noch ein Stück weiter flussaufwärts, dorthin, wo der Aufstieg nicht mehr so steil war, und hangelten sich nach oben.
Was geschah weiter?
Die vier wurden verhört, die KTU fand genügend Fingerabdrücke von Personen, die im Rechner gespeichert waren, und so konnten alle überführt werden.
Die Zeitungen waren voll mit zum Teil wildesten Vermutungen, was von wem wie getan worden war und wer das Verbrechen entdeckt hatte.
Von den Vieren war nichts zu lesen, sie waren ja noch Kinder.