Dr. Wolfgang Hubach

Die Station lag still.

Herzkranke sind ruhige Patienten, sie stören kaum, schon gar nicht in der Nacht, wenn sie mit Valium stillgelegt worden sind.

Schwester Antonella, die neben ihrem Beruf ein intensives Privatleben pflegt, das Dank ihres spanischen Temperaments seit einigen Tagen und dieses Mal mit dem Richtigen recht anstrengend geworden war, Schwester Antonella schob ihre erste Nachtschicht in dieser Woche und konnte sich nur mit allergrößter Mühe sowie mit viel Kaffee und Cola einigermaßen wach halten.

Die Tür zur Station öffnete sich vorsichtig.

Zwei Männer in kurzen Schlafanzughosen und weiten Oberteilen traten leise ein und lauschten.

Nichts war zu hören.

Sie wussten, dass Schichtwechsel gewesen war und dass deshalb die neue Nachtschwester unmöglich alle ihre Patienten schon kennen konnte.

Das war ihre große Chance.

Der eine huschte vor und lugte ins Bereitschaftszimmer.

Antonelle saß da und hatte die Augen geschlossen. Ihr Kopf sank langsam nach unten. Dann schreckte sie hoch, schaute auf die Signaltafel –alles ruhig- und döste weiter.

Inzwischen war der Kumpan im ersten Krankenzimmer verschwunden.

Zwei Damen schliefen dort friedlich.

Vorsichtig öffnete er die Schublade am Nachtkästchen. Die Geldbörse lag vorne ganz rechts, wie fast überall.

Mit geübten Fingern holte er die Scheine heraus, griff sich den herumliegenden Schmuck und verschwand wieder.

So räumte er die ersten sechs Zimmer aus, bei Frauen und Männern.

Seine Taschen unter dem Hemd wölbten sich schon bedenklich.

Ein Wink mit dem Kopf an den Partner, und sie wechselten die Positionen.

Der Dieb übernahm die Wache, der Wächter ging ans Einsammeln.

Bereits im zweiten Zimmer geschah es.

Hier hatte einer der Männer eine Infusionsflasche anhängen. Trotzdem schien er fest zu schlafen.

Der Eindringling räumte zunächst beim Zimmernachbarn ab und versuchte dann, auch das andere Nachtschränkchen zu plündern.

Dann schrie er auf.

Der vermeintlich Schlafende war plötzlich hochgeschnellt, hatte sich die Nadel aus der Ader gerissen und diese dem Einbrecher in die Seite gerammt, tief, bis auf den Knochen.

Der Getroffene rannte hinaus, beide Räuber eilten aus der Station.

Bis Antonella reagieren wollte, waren die zwei verschwunden.

Am nächsten Morgen gab es große Aufregung, als die Patienten ihre Verluste bemerkten.

Noch mehr Aufregung gab es, als der Stationsarzt erfuhr, was alles geschehen war.

In einer eilig einberufenen Konferenz wurde folgende Sofortmaßnahme beschlossen:

In der ganzen Klinik solle jede Stationsschwester von Zimmer zu Zimmer gehen und verkünden:

„Der Mann, der heute Nacht beim Stehlen gestochen wurde, soll sich unverzüglich melden. Es geht nicht um den Raub, um das Geld und den Schmuck. Es ist viel schlimmer. Der Stecher war ein Junkie. Der Gestochene kann ziemlich sicher sein: seit heute Nacht ist er HIV positiv.“

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