Der Louis war ein großer Räsonierer und Dischkurierer und ein Deringler 1 dazu. An jedem seiner Stammtische – er besuchte deren sieben, reihum jeden Tag einen anderen – an jedem seiner Stammtische führte er das große Wort, schwadronierte, erzählte jedem der es hören wollte, und auch jedem, der es nicht hören wollte, wenn er Kommandeur der Freischaren wäre, so stünde es um die Republik besser und die Preußen wären längst nach Berlin zurückgeschlagen worden. Dass die Feinde sich von Mainz her bewegten, ignorierte er.
Auch von Hambach schwärmte er, piepste sein „Hinauf, Patrioten, zum Schloß, zum Schloss!“, so wie anno 32, als er, vorsichtshalber hinter dem großen Zug, mit zur Kästenburg gezogen war, und vor allem sang er von seinem großen Helden der neuen Zeit:
„Wenn die Roten fragen,
Lebt der Hecker noch?
Sollt ihr ihnen sagen,
Ja, er lebet noch.
Er hängt an keinem Baume,
Er hängt an keinem Strick,
Sondern an dem Traume
der freien Republik.“
um dann unmittelbar in den martialischen Nachtext zu fallen:
„Freschdebluud muß fließe,
knibb’l-hag’l-dick.
Dann will ich dich begrieße,
Du Pälzer Republik“ 2.
wobei er durchaus die Pfalz links und rechts des Rheines meinte.
So ging das tagaus und tagein, aber keiner nahm ihn ernst, war er doch nur ein kleines dürres Schneiderlein, das glaubte, das bisschen Hunger, das es noch habe, könne es auch mit einem Weinchen stillen.
Dass Louis bei seinem Durst dennoch redlich durchs Leben kam, wunderte manchen, aber da er immer nur einen Schoppen „Wert vun Doinem“ 3 bestellte, den billigsten Haustrunk also, so sauer, dass er eine Vettel wieder zur Jungfrau machen konnte, musste er nie anschreiben lassen. Die paar Pfennige für den Tag schafften ihm seine Weiber, wie man hörte. Sieben Töchter hatte ihm seine Bawett geboren, und alle sahen so hutzelig und vertrocknet
aus wie ihre Mutter, richtige Rippenditzen, wie man in der Stadt sagte und die er alle Abende mit der Elle verprügelte, um zu zeigen, wer der Herr im Hause sei.
Die Weiber mussten nähen für ihn, maßnehmen und zuschneiden konnte er noch, sofern die Kundschaft vorm Elfeläuten da war, denn nach dem Stammtisch ging ihm alles nur noch überzwerch. 4
So kämpfte Louis seinen Freiheitskampf für ein neues Vaterland.
Kein Preuße würde je die Stadt erobern, keiner gegen ihn den Sieg erringen. Nicht gegen ihn!
Dann auf einmal waren sie doch da, mitten auf dem Markt! Die tapferen fremden Republikaner hatten im Galopp den geordneten Rückzug angetreten, sie ließen sogar ein einst erobertes Preußengewehr mit aufgepflanztem Bajonett zurück.
Und mit dem passierte es!
Die Bawett kam gerade mit zwei ihrer Großen vom Anprobieren, als ein Freischärler Besagtes wegwarf, um so seinen Gaul schneller antreiben zu können. Die Weiber guckten sich an, guckten sich um und flugs verschwand das gefährliche Gerät unter einer großen Pellerine.
Louis, der seinen Stammtisch hatte verlassen müssen, weil Soldaten die Wirtschaft im Sturm genommen, rannte voller Schreck und Wut nach Hause und verteidigte seine Freiheit mit der Elle auf den Buckeln der Seinen, so dass deren Gebrüll über alle Höfe und Gassen hinweg zu hören war.
Am Nachmittag, als die Feinde die Bewohner wieder ihres Weges gehen ließen, bis zur Dunkelheit, wie es hieß, schlich auch Louis hinaus, soff sich mit Gleichgesinnten den Rausch der Verzweiflung an, um dann bei Dunkelheit nach Hause zu schleichen, immer in Furcht, von einem Preußen geschnappt und ins Gaschô 5 geworfen zu werden.
Weil am Abend ein Soldat in ein Fenster geschossen hatte, als dort eine Funzel zu glimmen begann, lag die ganze Stadt dunkel. Louis hörte aber das Wispern und Pispern hinter den beigestellten Fensterläden, weshalb er mehrmals mit seinem Knotenstock an einen solchen klopfte und so Angst und Schrecken verbreitete.
Vor seinem Haus angekommen, fand er das Tor nicht verschlossen. Ein dunkles Loch nur war zu erkennen, aus dem heraus plötzlich eine stählerne Spitze zuckte und ihm das Herz zerriss. Die Nachbarn hörten ein Gurgeln, einen Körper und ein Eisen auf das Pflaster fallen, dann war es still. Niemand getraute sich, auf die Gasse zu schleichen, um nachzuschauen.
1 Dischkurierer = Disputiere; Deringler = Nörgler.
2 Fürstenblut muss fließen, knüppelhageldick. Dann will ich dich begrüßen, du Pfälzer Republik.
3 Wirt von deinem.
4 Verquer.
5 Gaschô, von dem französischen cachot, Kerker, Gefängnis.