Dr. Wolfgang Hubach

„Hallo, Oma!“

„Wer ist da?“

„Aber, Oma, kennst du meine Stimme nicht? Ich bin doch dein Enkel!“

„Christian? Wo bist du denn?“

„Ich bin hinter der holländischen Grenze, habe einen Unfall gehabt und die Polizei lässt mich nicht frei, ohne dass ich eine Kaution hinterlege. Kannst du mir aushelfen?“

Oma hatte nur einen Enkel und der war am Vormittag bei ihr gewesen, konnte also nicht in Holland sein.

Den schnapp ich mir!, dachte sie und sagte:

„Ja, ich kann dir helfen, aber ich habe die Handwerker im Haus und muss aufpassen, wie sie arbeiten und dass sie überhaupt arbeiten und kann so nicht gleich weg. Rufe nach vier Uhr noch einmal an, ja?“

„Danke, Oma, bis dann.“

Christian in Holland! Das war unmöglich!

Sie rief ihren Jungen an und schilderte ihm den Vorfall. Der reagierte sofort.

„Enkeltrick, Oma! Den legen wir rein! Der wird im Leben so etwas nicht mehr versuchen!“

Dann berieten sie einen Plan und amüsierten sich schon im Voraus darüber, wie das Ganze ablaufen würde.

Punkt vier Uhr läutete das Telefon.

„Oma, hier ist Christian. Kannst du das Geld besorgen?“

„Das muss ich nicht. Der Handwerker wollte kein Bargeld. Jetzt habe ich 20.000 daliegen. Reicht das?“

„Knapp, aber es reicht. Vielen, vielen Dank, Oma. Du bist die Liebste!“

„Und wie soll das Geld nach Holland kommen?“

„Gar nicht. Ich habe einen Freund in der Stadt, der holt es ab.“

„Und wie soll ich wissen, dass er der Richtige ist? Es könnte ja durch Zufall ein Fremder kommen und mit dem Geld dann abhauen.“

„Oma, du musst mir vertrauen. Es wird kein Fremder kommen.“

„Das weiß man nie. Kannst du mir nicht ein Bild von deinem Freund über das Netz schicken, damit ich genau weiß, wie er aussieht?“

„Mach’ ich, Oma. Mach’ ich. Geht es so gegen Fünf?“

„Einverstanden. Und komme mir gut nach Hause.“

Dann rief sie wieder ihren echten Enkel an. Der kam sofort. Der war Basketballspieler und über zwei Meter groß. Er schaltete vorsichtshalber ein Aufnahmegerät ein und versteckte sich dann im Schlafzimmer.

Inzwischen war auch das Foto angekommen. Es zeigte ein Bürschlein mit völlig nichts sagendem Gesicht und es zeigte die Adresse des Absenders!

Dann ging die Klingel.

Der Junge stand vor der Tür.

Oma meinte: „Du siehst aber deinem Foto nicht sehr ähnlich“

„Das ist auch schon älter. Los, wo ist das Geld?“

„He, so redest du nicht mit mir!“

„Doch. Los! Es pressiert!“

„So nicht, mein Lieber!

Da zog der Junge ein Schnappmesser hervor.

„Das Geld her, Alte, hopp, oder es passiert was!“

Und es passierte was!

Der Riese war aus der Tür getreten, schnappte sich des Bürschleins rechten Arm, fuhr mit dessen Hand über Omas Arm, so das es bei der alten Dame tiefe Kratzer gab und so fremde Hautpartikel unter die Nägel des Geldboten gelangten Dann legte er dessen Arm über sein Knie und brache ihn zwischen Hand und Ellbogen. Bevor der falsche Christian vor Schmerzen ohnmächtig wurde, sah er gerade noch, wie sich der Riese über ihn beugte und auch noch den linken Arm brach.

Der lange Kerl verschwand wieder und die alte Dame rief die Polizei. Es kamen ein gestandenes Mannsbild und ein ganz junger Anwärter. Dieser wollte nicht glauben, dass eine alte Frau den Gauner so habe zurichten können. Oma stand auf, fasste den Jüngling am Kragen und legte ihn mit einem gekonnten Fußfeger auf den Boden. Im Moment waren beide Polizisten verblüfft, doch dann begann der Älter zu lachen, Oma lachte mit und der Jüngere wusste nicht, sollte er die Pistole ziehen oder die Handschellen, um das rabiate Weib zu verhaften wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.

Doch der Ältere winkte ab.

„Willst du, dass die im Revier sich totlachen?“

Das wirkte!

Oma meinte versöhnlich: „Jüngelchen, ich habe seit meiner Jugend Kampfsport getrieben, da werde ich mit dir genauso wie mit dem kleinen Gernegroß fertig. Schließlich war ich Deutsche Meisterin im Senioren-Judo!“

Kurz, das Klappmesser, die Hautfetzen unter des Delinquenten Fingernägel, das Tonband und die Adresse auf dem Foto waren erdrückende Beweise für des Burschen Vergehen. Dennoch wollte auch der Richter nicht glauben, dass die alte Dame das Kerlchen so zugerichtet habe.

„Es war reine Notwehr, Herr Richter. Hätte ich ihm nicht die Arme gebrochen, hätte er mich vielleicht doch noch abgestochen. Wenn sie mir nicht glauben, dass ich mich wehren kann, dann kommen sie her und ich lege auch Sie aufs Kreuz!“

Der Richter verzichtete und sprach später sein Urteil.

Übrigens, das Märchen, dass ein Riese ihm die Arme gebrochen hätten, war für das Gericht so unwahrscheinlich, dass diese Aussage nicht einmal in das Protokoll aufgenommen worden war.

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