Dr. Wolfgang Hubach

Es war einmal ein kleines grünes Männchen, das lehnte sich auf dem Mars zu weit aus dem Fenster hinaus und fiel kopfüber in den Weltraum. Vor Schreck begann es mit Händen und Füßen zu zappeln. Das war falsch, denn so trieb es sich selbst von seinem Heimatstern weg auf die ferne Erde zu.

Nun dürft ihr nicht glauben, das grüne Männchen sei für immer verloren gewesen. Nein, es brauchte nur zu warten, bis der Mars in 687 Tagen wieder vorbeikommen würde, dann konnte es in sein Fenster zurückschlüpfen.

Ihr dürft auch nicht glauben, das grüne Männchen hätte erfrieren müssen. Nein, es ist große Kälte gewohnt, denn auf dem Mars ist es manchmal fast genau so kalt wie im All.

Ihr dürft auch nicht glauben, das kleine grüne Männchen hätte verhungern müssen. Nein, denn auf dem Mars gibt es nur Steine zu essen. Und Steine tanzen viele zwischen den Planeten herum, ihr könnt sie am Himmel sehen, es sind die Sternschnuppen.

Ihr dürft auch nicht glauben, das grüne Männchen sei ganz verlassen gewesen. Nein, denn es konnte, wann immer es wollte, seine Antennen am Kopf ausfahren und nach Haus funken:

Mayday! Mayday!

Hier ist Marsi.

Ich bin aus dem Fenster gefallen.

Ich warte zwischen Himmel und Erde auf euch!

Das kleine grüne Männchen Marsi flog also durch den Raum, schnappte sich gelegentlich mit seinem Greifschnüffelrüssel ein Sternschnüppchen und hoffte, bald einem Raumschiff zu begegnen, denn es hatte vor, die Astronauten zu erschrecken. Es wollte sich ganz vorsichtig an das Fenster heranschleichen und wenn jemand herausschauen sollte, wollte es ihm ganz schnell eine ganz lange Nase drehen.

Als Marsi der Erde schon ziemlich nahe gekommen war, blitzte und blinkte es plötzlich so prächtig vor ihm auf, als sei die ganze Welt voller Marspudding mit Glimmerstreusel.

Marsi reckte seinen Greifschnüffelrüssel und untersuchte das Glitzerzeug. Es waren keine Steine, sondern Metallstücke, die überall herumschwebten: ausgebrannte Satelliten, verbogene Rohre, Schrauben, alte Werkzeuge und Wasweißichalles. Ein Spaßvogel hatte sogar eine Konservendose auf die Reise geschickt, auf deren Deckel man noch lesen konnte: Kirschen mit Stein.

Als Marsi das Wort „Stein“ entziffert hatte, bekam er sofort einen großen Hunger. Aber so sehr er auch suchte, es kreisten nur Metalle herum. Missmutig näherte er sich einigen größeren Schrottstücken, um sie näher zu untersuchen. Und tatsächlich, in einer dicken Kapsel fand er etwas, das wie Stein aussah und das auch gut schmeckte, und das vor allem den Magen ganz behaglich wärmte.

Marsi stopfte alles in sich hinein, ohne zu überlegen, ob ihm das Unbekannte auch bekommen werde. Ja, als er in der Nähe eine weitere Kapsel entdeckte, aß er auch diese noch rutz und putz leert.

Pumpsatt war er so geworden.

Gemütlich setzte er sich auf den Parabolspiegel eines ausgebrannten Wettersatelliten, schob dessen Sonnensegel zurecht und fuhr wie mit einem Auto den großen Schrottring entlang. Irgendwann kam er an einer polierten Metallplatte vorbei. Darin glaubte er sich zu sehen, aber nicht so, wie er sich von zu Hause her kannte, sondern strahlend und leuchtend grün.

Marsi erschrak.

Vorsichtig fuhr er näher heran. Er hob die linke Hand, das Spiegelbild hob die rechte. Er hob den rechten Fuß, das Spiegelbild hob den linken. Er kratzte sich am Greifschnüffelrüssel, das Spiegelbild tat es auch.

Da war Marsi sicher, dass er und nur er das strahlend leuchtende Männchen sein konnte.

Mayday! Mayday! Hier ist Marsi, der Kleine!

Mayday! Mayday! Ich bin so alleine!

Mayday! Mayday! Ich strahle so hell!

Mayday! Mayday! Helft mir ganz schnell!

Sofort meldete sich eine Stimme aus dem All.

„Marsi, was hast du wieder angestellt?“

„Nichts! Gar nichts! Aber ich leuchte und strahle, als sei ich selbst ein Stern!“

„Marsi, hast du etwas Verbotenes gegessen?“

„Nein, nein! Nur Steine!“

„Woher hattest du die Steine?“

Marsi wurde es unbehaglich und er begann, vorsichtig um die Wahrheit herum zu reden.

„Ja, weißt du, Sternschnuppen waren nicht in der Nähe, und so großen Hunger habe ich gehabt, und, weißt du, da war eine Kapsel, weißt du, und in der Kapsel waren Stangen aus Stein und die haben so gut geschmeckt und mir ist so wunderbar warm geworden, als hätte ich hundert Jahre in der Sonne gesessen. Aber, sage mir, wieso leuchte und strahle ich?“

„Marsi!“ sagte die Stimme, „Marsi, hast du etwa einen Antrieb genascht?“

„Weiß ich nicht!“

„Was steht auf der Kapsel, die du leer gegessen hast?“

„Da ist ein gelber Kreis mit drei Dreiecken in schwarz.“

Die Stimme wurde ganz aufgeregt.

„Marsi! Du hast aus einem Atommotor die Brennstäbe verschlungen! Oh Marsi, Marsi! Was soll bloß werden!“

Marsi, dem es immer unbehaglicher geworden war, sagte ganz leise:

„Ich will nach Hause!“

„Nein!“ lehnte die Stimme ab, „Nein, du würdest uns allen die Augen ausbrennen mit deinem Leuchten Tag und Nacht. Du darfst den Mars erst wieder betreten, wenn du nicht mehr leuchten wirst!“

„Dann will ich wenigstens zur Erde hinab, damit ich nicht so alleine bin.“

„Nein! Du würdest dort alles vernichten mit deinem Strahlen Tag und Nacht, alle Pflanzen, alle Tiere und alle Menschen. Du darfst die Erde erst betreten, wenn du nicht mehr strahlen wirst.“

„Wie lange muss ich warten?“

„Das weiß ich nicht, aber lange wird es sein. Sehr, sehr lange. Damit musst du dich abfinden, denn niemand kann dir helfen.

Roger and over.“

Dann herrschte Funkstille.

Marsi zog seine Antennen zurück, schlang den Greifschnüffelrüssel um seinen Hals und reihte sich mit seinem Satellitenauto in die Umlaufbahn ein. Schaut einmal nachts zum Himmel empor, vielleicht seht ihr ein Licht vorüberziehen. Wahrscheinlich ist es Marsi, der da zwischen Himmel und Erde schwebt und leuchtet und strahlt, wohl noch tausend Jahre lang.

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