Kinder, kennt ihr Kasperle?
Das richtige Kasperle mit der Zipfelmütze zu der es immer Mipfelzütze sagt? Das mit dem großen Mund, der so groß ist, daß man schneller von einem Mundwinkel zum anderen kommt, wenn man hinten am Kopf entlang herumläuft und nicht über die Lippen geht?
Kennt ihr das Kasperle, das immer fragt: „Seid ihr alle da?“
Wenn ihr dieses Kasperle kennt, dann kennt ihr bestimmt auch Gretel, seine Frau.
Und von den beiden, von Kasperle und Gretel und von vielen anderen, die ihr kennt, will ich euch heute erzählen.
Kasperle saß zu Hause auf dem Kanasofapée und putzte seine Pritsche. Da kam Gretel vom Einkaufen zurück und begann sofort zu schimpfen:
„Kaspar! Warum hast du denn deine Schuhe nicht abgestreift? Da, schau hin! Durch das ganze Haus zieht sich deine Spur und ich arme Frau soll wohl jetzt deinen Schutz wegräumen, während du, mein Herr Kasparich, auf deiner faulen Haut liegst!“
„Gretel“, sagte Kasperle, „Gretel, ich war das nicht. Ich habe meine Schuhe abgestreift.“
„So?“ fragte Gretel, „du warst es nicht? Dann muss es wohl ein Gespenst gewesen sein!“
Wieder sagte Kasperle: “Gretel, ich war das nicht, das musst du mir glauben.“
Da wurde Gretel wütend und schrie:
„Du warst es doch!“
Kasperle schrie zurück:
„War ich nicht!“
„Warst du doch!“
„War ich nicht!“
„Warst du doch!“
„War ich nicht!“
So ging das Geschrei hin und her.
Nun weiß man, wenn zwei sich streiten, ist es am besten, sie brechen den Zank ab und gehen sich für eine Weile aus dem Weg, bis sie wieder vernünftig miteinander reden können. Auch Kasperle weiß das
ganz genau, und da er des Streitens müde war, nahm er seine frisch geputzte Pritsche und machte sich auf und davon.
Gretel holte Besen und Eimer hervor, um die Schmutztapser wegzuwischen. Da kam der Polizeidiener mit seinem Hund. Der schnüffelte kerzengerade die Spur entlang zur Speisekammer. Dort hatte sich der Taschendieb KlauKlau versteckt, weil er gehofft hatte, bei Kasperles nicht erwischt zu werden. Der brave Hund fand ihn aber sofort, der Polizeidiener fesselte ihn, und beide zusammen brachten KlauKlau ins Gefängnis.
Gretel war sehr erschrocken, als sie merkte, daß sie ihren lieben Mann zu unrecht beschuldigt hatte. Aber es half ihr keine Reue, Kasperle war erst einmal weg.
Was glaubt ihr, wo er hingegangen war? Natürlich, zum tiefen dunklen Wald.
Dort traf er den Räuber RaffRaff, der ihn mit der Pistole bedrohte und ihm sein Geld abnehmen wollte. Kasperle lachte darüber, pritschte dem Räuber die Nase voll, so daß der heulte und schrie und in den Wald hineinlief, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Kasperle aber nahm die Pistole zu sich und zog weiter.
Da kam er an das Haus des Wilddiebes WetzWetz. Der hatte ein großes scharfes spitzes Messer, mit dem er Kasperle zwingen wollte, ihm seine Pritsche zu geben. Kasperle lachte darüber, pritschte dem Wilddieb den Rücken voll, so daß der heulte und schrie und in den Wald hineinlief, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Kasperle aber nahm das Messer zu sich und zog weiter.
Dann kam er zu dem Versteck des Zauberers PiffPiff. Der wollte Kasperle die schöne Zipfelmütze abnehmen. Kasperle lachte darüber, pritschte dem Zauberer die Hände blau, so daß der heulte und schrie und in den Wald lief, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Kasperle aber nahm den Zauberstab zu sich und zog weiter.
Dann kam er an die Höhle des Fälschers PochPoch. Der saß in seiner Werkstatt und fälschte Silbertaler. Weil er sich durch den Fremden gestört fühlte, schwang er seinen großen Hammer, um den Eindringling zu verjagen. Kasperle lachte darüber, pritschte dem Fälscher das Hinterteil, so daß der heulte und schrie und in den Wald hineinlief, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Kasperle aber nahm den Hammer zu sich und zog weiter.
Dann kam er an das Baumnest der Hexe HuiHui. Die kam auf ihrem Besen herangeflogen und wollte ihm eine große Warze auf die lange Nase hexen, zur Strafe
dafür, daß er ihr Land betreten hatte. Kasperle lachte darüber, pritschte der Hexe das lose Maul, so daß die heulte und schrie und in den Wald hineinlief, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Kasperle aber nahm den Besen zu sich und zog weiter.
Auf einmal machte der Weg einen weiten Bogen, mitten in den Wald hinein, dorthin, wo er am tiefsten und dunkelsten ist. Und genau an dieser Stelle fand Kasperle sie alle wieder, den Räuber RaffRaff, der sich die Nase rieb, den Wilddieb WetzWetz, der sich seinen Rücken kühlte, den Zauberer PiffPiff, der in seine Hände bließ, um den Schmerz zu lindern, den Fälscher PochPoch, der auf dem Bauche lag, weil er nicht mehr sitzen konnte und auch die Hexe HuiHui, die ihren Mund mit allerlei Kräutern zu heilen versuchte. Sie saßen herum und jammerten und pflegten, was ihnen gepritscht worden war.
Als Kasperle um die Ecke bog, fingen alle an zu schreien und zu betteln:
„Kasperle, gib uns unsere Werkzeuge wieder, sonst wissen wir nicht, was wir tun sollen. Bitte, liebes Kasperle, nur die Werkzeuge gib uns wieder.“
Da fragte Kasperle:
„Und was wollt ihr mit den Werkzeugen machen, wenn ich sie euch wieder gebe?“
Da schrien alle, sie wollten nie wieder räubern und nie wieder dieben und zaubern und nie wieder fälschen und hexen!
„Nie, nie wieder!“
Kasperle bekam Mitleid mit den Armen und gab ihnen ihre Werkzeuge zurück, aber ganz durcheinander und verwechselt und in die Kreuz und in die Quer.
Der Räuber RaffRaff bekam den Besen. Da er mit dem nicht räubern kann, fegt er seither den Wald.
Der Wilddieb WetzWetz bekam den Hammer. Da er mit dem nicht wildern kann, klopft er mit dem Specht um die Wette.
Dem Fälscher PochPoch gab er den Zauberstab, da er mit dem nicht fälschen kann, benutzt er ihn als Hirtenstab, um die Tiere des Waldes zu beschützen.
Dem Zauberer PiffPiff gab er die Pistole. Da er mit der nicht zaubern kann, schießt er darin zu Silvester das Neujahr ein.
Der Hexe HuiHui aber gab er das Messer. Mit dem kann sie zwar nicht hexen, aber darauf reiten wie einst auf ihrem Besen.
Im Winter reitet sie zu den Wolken hoch und macht einen langen Schnitt hinein, damit der Schnee in tausend Flocken zur Erde tanzen kann.
Im Frühling reitet sie über die Wiesen und schlitzt die Knospen auf, damit alle Blumen auf einmal blühen können.
Im Sommer reitet sie über Wald und Flur und hilft, daß geerntet werden kann, bevor der große Regen kommt.
Im Herbst aber reitet sie dem Sturm entgegen, um ihn abzuweisen, damit er nicht allzuviel Schaden anrichte. Der Sturm aber will nicht weichen und schüttelt die kleine Hexe, so daß die sich oft an dem scharfen, spitzen Messer verletzt und ihr Blut über Bäume und Sträucher tropft. Da aber Hexenblut nicht nur rot, sondern auch gelb und braun ist, werden auch die Blätter rot und gelb und braun und fallen daraufhin von den Ästen ab. Irgendwann hat die kleine Hexe HuiHui den Kampf mit dem Sturm gewonnen. Dann zieht sie sich in ihr Baumnest zurück und pflegt ihre Wunden bis der Winter kommt und sie zum Himmel auffliegen kann, den Schnee aus den Wolken zu holen.
Was mit Kasperle geschehen ist, wollt ihr noch wissen?
Der ist schon längst wieder zu Hause und feiert mit seiner Gretel jeden Tag Versöhnung, so wie es sein muss zwischen Menschen, die sich lieb haben, Zank hin und Streit her.
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